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Qigong im Herbst - Die Klarheit der Lunge

22.10.2022 22:42

Die Klarheit der Lunge

Ein Gastbeitrag von Katrin Blumenberg

Beim Stichwort Lunge, denken wie sofort an die Atmung.

Ein ganz elementarer, lebenserhaltender Vorgang. Eine wichtige Form der Energieaufnahme und des Energieaustausches, der unentwegt stattfindet, ohne dass wir unseren Körper daran erinnern müssen, vom ersten, bis zum letzten Atemzug. Atmung ist, was uns alle verbindet. Alle Menschen in einem Raum atmen die gleiche Luft. Ein ständiger Austausch, eine lebendige Verbundenheit. Die Atmung verbindet unser Innerstes mit dem Außen und stellt so einen ständigen Kontakt her. Es ist keine Vorgang, wie die Blutbildung oder die Verdauung, die nur in meinem Inneren stattfindet und genauso wenig nur im Außen, sondern es ist ein permanentes Schwingen, zwischen mir und meiner Umwelt. So wie wir die Luft zum Atmen brauchen, so brauchen wir Menschen, als soziale Wesen, den Austausch und den Kontakt mit anderen, sonst würden wir verkümmern.

Wie schön, wenn wir Qi Gong in Gruppen üben können und hier ein Austausch entstehen kann und die Luft sich zu einer guten Atmosphäre verdichtet, ohne dabei auf verbale Mittel zurückgreifen zu müssen.

Über die Atmung stehen wir in ständigen Kontakt mit der Welt und gleichzeitig ist die bewusste Atmung das einfachste Mittel bei mir anzukommen, mich zu beruhigen oder zu zentrieren. Der Begriff des Qi wird häufig mit Dampf, Luft oder Atmung übersetzt.

Die Lunge ist eine recht großes Organ,besteht aber aus einem sehr zarten, empfindlichen Gewebe.

Ihrem Funktionskreislauf wird die Jahreszeit des Herbstes zugeordnet. Eine Zeit, in der die Luft kühler wird, in der es gilt sich vor Wind und damit einhergehenden Erkältungskrankheiten zu schützen. Im Herbst wird die Luft aber auch klarer und verliert die drückende Wärme des Sommers. Diese Klarheit spiegelt sich nicht nur in der Luft wieder, sondern in der ganzen Natur. Die Blätter beginnen zu fallen, die letzten Sommerblumen sind verwelkt und die Insekten, sowie viele Tiere ziehen sich zurück. Das Jahr beginnt seinen Yin Charakter zu entfalten, der für Rückzug, Sammlung und Beschränkung auf das Wesentliche steht. Wenn nicht mehr so viele Blüten, Farben, Düfte und  Sommeraktivitäten ablenken, entsteht Raum für mehr Ruhe und Klarheit.

Die Natur zeigt deutliche Strukturen.

Sind die Blätter erst einmal gefallen, sehe ich wieder die Äste und erkenne auch was hinter dem Baum steht. Keine Zeit des Jahres und keine Lebensphase ist generell gut oder schlecht, sie bietet nur andere Möglichkeiten. Die Klarheit und Ruhe, die der Herbst mit sich bringt, spiegelt sich auch in Charakter und Aufgabe der Lunge wider. Die Lunge atmet ein und atmet aus. Danach tritt der kostbarer Moment der Ruhe ein, bevor sie wieder neu einatmet, um anschließend wieder auszuatmen. Das ganze tut sie ohne Unterlass, Tag ein, Tag aus, den ganzen Tag, die ganze Nacht, seit Monaten, seit Jahren, seit Jahrzehnten. Sie arbeitet nicht geballt und komprimiert, wie der Magen und ist auch nicht vor unterschiedliche Herausforderungen gestellt, sonder ihre Aufgabe ist eine Leben lang sehr präzise umrissen: Ein- und Ausatmen. Beides folgt zuverlässig aufeinander, wie Tag und Nacht, wie Ebbe und Flut. Ich atme nie gleichzeitig aus und ein und wenn ich nicht gerade eine bewusste Übung mache, so atme ich immer einmal ein und einmal aus. Ganz klar, ganz eindeutig. Da gibt es keine Zwischentöne, kein Zaudern, keine faulen Kompromisse. Entweder atme ich ein oder aus und es absolut klar, dass das eine auf das andere folgt. Zwei Vorgänge die einander bedingen, wie Yin und Yang, beide gleich wichtig, gleich notwendig, beide elementar.

Dieses Prinzip spiegelt sich auch in den Bewegungen des Qi Gongs wieder.

Auf das Steigen folgt immer das Sinken, um dann wieder steigen zu können. Auf das Öffnen folgt das Schließen, um mich dann wieder neu öffnen zu können. Habe ich mein Gewicht nach vorne verlagert, so werde ich es anschließend wieder nach hinten verlagern, um dann neu nach vorne zu schwingen. Wie beim Atem, so schwinge ich beim Qi Gong zwischen zwei Polen, ohne bei einem stehen zu bleiben, ohne in einer Position zu verharren. Auf und zu, hoch und runter, vor und zurück, ein ständiges Schwingen, ein ständiges Pendeln, ohne den Halt und die Mitte zu verlieren. Dabei bin ich in der Bewegung klar und deutlich. Auch ein Beobachter kann genau erkennen, wann die Arme geöffnet sind und wann geschlossen, wann oben und wann unten. Es bleibt nichts vage und angedeutet und gleichzeitig ist immer alles im Fluss. Dieses Bewegungsprinzip des Qi Gong setzt die Lehre von Yin und Yang um.

Durch die regelmäßige Übungspraxis kann ich das Prinzip erfahren und somit auch besser in mein Leben integrieren.

Ein Schwingen, ohne aus der eigenen Mitte zu geraten. Eine ständige Veränderung und doch eine bestehende Klarheit. Gar nicht so oft zu finden heute. Schauen wir uns mal die gesellschaftspolitischen Talkshows an. Eigentlich geht es hier nicht wirklich um den Austausch, um das in Kontakt treten oder gar in eine gemeinsame Schwingung zu kommen. Jeder tritt schon mit einer festen Position an, die es gilt vehement zu verteidigen und sich auf keinen Fall davon auch nur einen Millimeter zu entfernen. Wie schade, wenn Klarheit mit Starre verwechselt wird und Austausch mit Kampf.

Im Qi Gong kann ich die Fähigkeit kultivieren, eine klare Position zu beziehen, ohne den Anspruch auf allgemeingültige Wahrheit und bleibe dabei beweglich und offen.

Qi Gong ist Bewegung hin zur Offenheit und Fülle des Lebens. Der Herbst ist eine gute Zeit die Klarheit im Bewusstsein, meiner inneren und äußeren Haltung zu schulen und mich wieder auf Wesentliches zu konzentrieren.


Katrin Blumenberg

Leiterin der ZHENG YI DAO Seminare, stellte gemeinsam mit ihrem Mann, dem chinesischen Arzt Zheng Yi das Übungssystem des „Qi Gong der Vier Jahreszeiten“ zusammen. Seine beiden Grundsäulen sind die „bewegte Form des Qi Gong der Vier Jahreszeiten“ (Übungsbuch, Begleit-CD, Video-online Kurs) und die „stille Form des Qi Gong der Vier Jahreszeiten“ (DVD Serie und Begleit-CD, Video-online Kurs).

Ausgebildet in der V.R. China, unterrichtet sie Qi Gong an therapeutischen Kliniken, ist Referentin auf Kongressen (Qi Gong Kongress Hamburg, TCM Kongress Rothenburg, …) und bietet eine Ausbildung an (nach den Richtlinien des DDQT), sowie Fortbildungen zu den drei Themenbereichen:

  • „Qi Gong in der Therapie und Selbstfürsorge“
  • „Qi Akupressur“ (inkl. Aktiv Entgiftung, auch als Video-online Kurs)
  • „Coach für entspanntes Lernen / Kinder Qi Gong“

weitere Infos unter: www.qigong-vier-jahreszeiten.de